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Und die Angst weicht dem Staunen

Walk Your Why im Greater Kruger National Park


Blick über den Greater Kruger Nationalpark (Bernd Brormann - März 2022)

Wir stehen am Rand der bekannten Welt. Vor uns entfaltet sich die Wildnis, soweit das Auge reicht. Keine Straßen, keine Häuser, nur ein dichtes Netz an Tierpfaden. Keine Häuser, nur Termitenbauten und bewohnte Höhlen, keine Handymasten, nur ein Notfalltelefon, die Nabelschnur der Zivilisation ist durchtrennt. Wir stehen an der Schwelle, wo das Unerwartete jederzeit einbrechen kann. Am Tor zum Risiko. Zum puren Leben, zur Angst, zur Ganzheit.

Thomas vom M T O M E N I - S A F A R I - C A M P bringt uns mit dem alten Toyota Land Cruiser hinaus in die Wildnis. Wir – Lutz Otto (Wildnisführer, Gründer von Spirited Adventures & Consulting), Brett Pepper (Klinischer Psychologe), Chris der zweite Wildnisführer und 8 weitere Teilnehmer, stehen in der Afrikanischen Savanne. Der Busch ist durch den vielen Regen dieses Jahres besonders dicht. Schlechte Voraussetzungen, um weit zu sehen. Denn die Mopane Bäume, die wir in den nächsten Tagen zuhauf sehen werden und die diese Landschaft prägen, sind aktuell besonders gut mit grünem Blattwerk ausgestatten und schränken das Blickfeld deutlich ein. Und überall Spuren von Tieren auf dem Boden.

Alles, was wir in den nächsten Tagen brauchen werden, haben wir in unseren Rucksäcken. Reduziert auf das, was wir wirklich benötigen, um nicht zu viel Gewicht mit uns tragen zu müssen. Denn jedes Gramm zu viel macht sich schnell bemerkbar und wir nehmen alles wieder mit zurück.

Wie Antilopen aufgereiht, bewegen wir uns ab jetzt durch den Busch. So werden sie sich wohl bewegt haben unsere Ur-Ahnen auf dem Weg aus der afrikanischen Wiege der Menschheit in alle Welt. So werden wir uns bewegen die nächsten 5 Tage. Eine Reise zu den Ursprüngen, ein Fußmarsch durch den Garten Eden, eine Konfrontation mit den Gefahren eines Lebens, dass doch eigentlich immer gefährlich ist.




„Wenn Du dich verirrt hast, gehe dahin wo du hergekommen bist“, hat meine Mutter mir als Kind gesagt. Verirrt, ja verirrt hatte ich mich. Ich habe mich nicht mehr gespürt, keine Freude nur tiefsitzende Traurigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, mein Gedächtnis ein Schweizer Käse und dünnhäutig wie ein Schmetterlingsflügel, hochfunktionell mit Depression bis das mit dem funktionieren nicht mehr ging. Da sind wir nun, zurück in der Wiege der Menschheit, aber auch zurück in einer Gemeinschaft, in der sich jeder einzelne verletzlich fühlt. Das eint uns und öffnet uns für wahre Verbindung. Wir sind schließlich im Reich der Löwen, der großen Prädatoren und des Unbekannten. Wir sind aufeinander angewiesen. Das Miteinander ist wichtiger, Vertrauen das Bindeglied und die Basis unserer Sicherheit.

Wir alle sind hierhergekommen, weil wir die Intention haben auf eine wichtige Frage in unserem Leben eine Antwort zu finden. Eine Frage, die so schwer wiegt, dass wir uns dafür weit hinaus aus unserer Komfortzone bewegen. Diese Frage ist unser „Why“, unser Warum. Dafür ist jeder/ jede einzelne bereit und sich auch wichtig genug dieses Risiko einzugehen.

Ich bin mir mittlerweile sicher, dass wir alle das brauchen. Das Hinausgehen und uns einer wilden Landschaft hingeben, sie erforschen, erfahren und bewundern. Wir sollten das während aller Jahreszeiten tun, bei allen Wetterlagen, bei Tag und bei Nacht. Wir sollten das Land berühren, die Luft schnuppern, einatmen und lauschen. Wir sollten das, sich auf dem Wasser spiegelnde Mondlicht, in uns aufnehmen.

Hier im Greater Kruger Nationalpark, der unberührten Wildnis Afrikas haben wir sogar das Glück den Fireflys, Leuchtkäfern, beim Lichtspiel zusehen. Wir spüren den Wind in unseren Haaren und nehmen all die lebenden Wesen wahr, mit denen wir diese Welt teilen. Wir sollten es wagen uns mit der wilden Natur unserer eigentlichen Herkunft rückzuverbinden. Wir sollten das tun, bevor es dafür zu spät ist. Mein Vater ist nur 61 Jahre alt geworden, ich Bernd Brormann bin nun 54 Jahre alt. Keiner von uns weiß wie lange er diese Welt, dieses Leben als Geschenk für sich nutzen darf.

Wir können nicht zu früh damit beginnen uns mit uns selbst zu verbinden und unser wahres Ich zur Entfaltung zu bringen. Auch braucht die Wildnis Verbündete unter den Menschen, Menschen die emotional mit der Wildnis verbunden sind. Den Wert für die Menschheit erkennen und sie schützen wollen. Nur was uns emotional wichtig ist, werden wir bewahren.

Die vielfältige Vegetation bietet Lebensraum für Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien. Die Big Five, die 5 Großwildarten: Elefanten, Wasserbüffel, Leoparden, Löwen und Nashörner sind ebenso vertreten wie riesige Flusspferde, Affen, Hyänen, Wildhunde, Giraffen, Antilopen, Kobras und# Geier.

Die Pfade, die wir benutzen sind Wildwechsel, die von den Tieren gemacht wurden. Hier sind die Elefanten und Flusspferde die Ingenieure der Infrastruktur, wir nutzen die von Ihnen getretenen Wege und wir tauchen ein in Ihre Welt und werden hier keine Spuren der Zivilisation hinterlassen. Wir werden zum Tier unter Tieren, haarlose Affen.

Wir gehen mit schwerem Rucksack und ohne übliche Sicherheit in die Wildnis. Geschlafen wird unter freiem Himmel, Nachtwache inklusive und in unseren Ein-Mann oder Ein-Frau-Zelten. Getrunken wird aus dem Fluss, Nahrung muss mitgebracht und auf dem Gaskocher zubereitet werden. Wir wollen keine Spuren hinterlassen.

Uns allen ist gemein, uns geht es nicht um Nervenkitzel. Es geht darum sich drängende Fragen zu beantworten, wieder mit sich in Kontakt zu kommen, die förderliche Kraft der Verbindung in der Gruppe und dieses magischen Ortes zu nutzen. Wir kommen alle mit der Intention eine Lebensaufgabe zu meistern und nutzen diese Erfahrung in der Wildnis Afrikas, um eine hierfür wichtige Antwort auf unsere Frage zu finden.

Die tiefe archetypische Erfahrung von Wildnis hilft uns diese Antwort zu finden. Wir begegnen in der Wildnis einer größeren Ordnung und einer grünen Spiritualität.

Schon auf den ersten Metern verändern sich unsere Sinne, die Intensität, wie wir wahrnehmen. Die Ohren sind gespitzt und der Geruchssinn wird feiner. Der Blick wird weit. Wir gehen als Gruppe geschlossen durch den dichten Busch. Ein jeder stellt seine Wahrnehmungskraft dieser Gruppe zur Verfügung, jede Bewegung um uns herum wird durch die vielen Augen, Nasen und Ohren schon im Ansatz erfasst. Alle Sinne sind auf hab Acht gestellt, denn hinter jedem Busch, hinter jedem Termitenhügel, könnte ein Löwenfamilie ruhen oder ein Büffel auf uns zu rennen. Spuren der vielen Tiere umgeben uns, wir sind mitten in ihnen.

Wir laufen wie in meditativer Trance, ein Schritt wird vom anderen abgelöst, es fühlt sich an wie eine Meditation, aber keine im nach Feng-Shui eingerichteten Yoga-Studio. Diese geht über massige Elefantenspuren, am Skelett eines Büffels vorbei. An der Spitze Lutz und Chris mit Gewehren, die zu unseren Pfadfindern werden, zu unseren feinen Nasen, unseren Ohren, die das Netzwerk der Töne und Geräusche verstehen, in der Ferne Bewegungen ausmachen, oder unmittelbar vor uns. Chris gehört zum Team von Lutz Otto und beide tragen die Liebe zur Natur sowie das Wissen über die vernetzende Sprache der Wildnis in sich. Es ist als würden sich Ringe über die Landschaft ziehen. Irgendwo passiert etwas. Ein Tier bewegt sich, ein anderes hört es und reagiert auf seine Weise und der Mensch, der die Signale der Natur versteht, weiß, was hundert Meter vor ihm im Busch passiert. Langsam beginnt man in dieses Netz von Informationen hineinzutauchen und Teil davon zu werden. Teil vom Großen und Ganzen und wir bekommen mit, wie unsere Gegenwart das Feld beeinflusst. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt und Ringe bildet.

Denn dass dies kein Spielplatz ist, sieht man an den vielen Knochen, die wir immer wieder auf unseren Pfaden von der Sonne gebleicht im Staube liegen sehen.

Die 3 goldenen drei Regeln werden regelmäßig abgefragt.

- Stay behind the rifle,

- Don’t run

- Follow the commands.

Eine der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Hier kann es wichtig sein, einfach dem zu folgen, was angesagt wird. Lebenswichtig.

Langsam und stetig entsteht der Wunsch tiefer wahrzunehmen, unsichtbar und noch leiser zu werden, um mehr zu hören, tiefer einzutauchen und keine Spuren zu hinterlassen, doch wir hinterlassen Spuren, an denen der Wissende alles erkennt. Der Wissende kann aus den Spuren am Boden herauslesen, was am Abend vorher hier passiert ist.

Die veränderte Wahrnehmung bewirkt ein langsames Einsinken in ein viel größeres Netzwerk des Lebendigen. Das Ganze und die unsichtbaren Verbindungen werden sichtbar. Der Geist nimmt in tiefen Zügen ein Orchester von Eindrücken und Kräften wahr und die Angst weicht dem Staunen.

Das wilde Land vermittelt Empfindungen, die sich den Worten entziehen. Eindrücke die eher mit musikalischen Metaphern zu begreifen sind. Landschaftliche Harmonien werden spürbar, durch die Wildnis gelegte Melodielinien, Töne, die mit den Saiten unserer Psyche resonieren. Wildnis ist etwas Physisches, das der Sprache vorausgeht. Ein dauerndes Déjà-vu uralter Wahrnehmung. Tiefenzeit in einer wilden, aber ganzen Welt. Der Besucher fühlt sich wie die vorzeitlichen Wanderer der Menschheitsgeschichte:

- dieselbe Angst,

- dieselbe Achtsamkeit ,

- dieselbe Ehrfurcht

uralte Wurzeln werden spürbar.

Wir gehören zu dieser Wildnis. Das ist mein, das ist unser wirkliches Zuhause. Wenn wir an diese wilden Plätze gehen, kommt vieles wieder ins Gleichgewicht. Du nimmst anders wahr, denkst anders. Du kommst als andere Person zurück. Eine wichtige Erfahrung.

In der ersten Nacht ist Nachtwache, die Gruppe schläft auf Isomatten ohne Zelt, frei unterm Sternenhimmel, am Boden, eng an eng, wie eine Ur-Horde in einem Flussbett. Hinter uns eine Felswand als Schutz, links und rechts das Flussbett und vor uns der Busch. Der Schlaf ist leicht, wie in ständiger Bereitschaft zum Aufspringen. Es schafft Dankbarkeit und tiefe Gemeinschaft sich beschützt zu wissen. Wer wacht leuchtet in kurzen Abständen mit einer starken Taschenlampe immer wieder in die Büsche oder raus in die Weite und sucht nach Tieraugen, die im künstlichen Licht der Lampe gelb leuchten.

Löwen, Antilopen, Hyänen könnten sich nähern und der Elefantenpfad liegt ein paar Meter weiter nicht weit weg und jeder von uns ist sich der Verantwortung für die Gruppe bewusst.

Im südlichen Afrika begegnet einem die Philosophie des Ubuntu. Eine Lehre der Verbundenheit, Gemeinschaft und Kooperation, die bedeutet: „Ich bin, weil Du bist“ denn Nichts und niemand kann sein ohne mit anderen verbunden zu sein. Ein Wasserloch von Elefanten gegraben bringt für andere Tiere die Möglichkeiten sich am Wasser zu laben. Die Wildnis erweckt das Ubuntu in Deiner Seele und du kannst es mit nach Hause bringen. Eine Weisheit die durch pandemiebedingte soziale Distanz und andere Krisen dieser Welt an Bedeutung gewonnen hat. Wir sind, weil die Natur ist, weil unsere Mitmenschen sind.

Das vermeintliche Chaos der Wildnis ist eine noch nicht verstanden Harmonie, in der Nichts nutzlos ist alles eine lange Geschichte hat. Kein Gleichklang, sondern ein miteinander Klingen. Jedes Tier ist optimal für den Lebensraum, in dem es lebt angepasst und eingebunden in das Netzwerk des Lebens. Vielmehr unterstützen sich alle gegenseitig in einer großen Symbiose. Es ist wie ein gemeinsamer Tanz aller Organismen.

Die Weite im Außen dehnt auch die Seele, die hier direkt genährt wird. Die Zeit in der Wildnis öffnet die Wahrnehmung und in dieser Öffnung kommt es zu einer Verbindung mit den Mitwanderern, die für uns alle heilsam ist. Wir tauschen uns über die Lasten aus die wir mitgebracht haben und hören einander wirklich zu. Es gibt keine Ratschläge, kein Kleinreden, keine Unterbrechungen und kein Trösten, kein Warten bis man endlich an der Reihe ist zu sprechen, um etwas hinzuzufügen. Dieses wirkliche Gehört werden ist Balsam für die Seele. Hinzu kommen die achtsam und mit viel Empathie durch Lutz und Brett geleiteten Gesprächsrunden. Wie Aus- und Einatmen, organisch kommt es zur Innenschau in Ruhe und zum Mitteilen in der Runde. Was einmal ausgesprochen ist, lastet nicht mehr ganz so schwer auf dein Schultern.


Was erforschen wir, was erfahren wir über uns in diesen Gesprächsrunden?

Wir konzentrieren uns auf die 3 wichtigsten, miteinander verbundenen Bereiche unseres Lebens:

Arbeit, Liebe und Spiel.

Das Denken, die Gruppenenergie und der Gesprächsfluss werden von Brett und Lutz konstruktiv geleitet. Die Teilnehmer geben ihre Weisheiten und Erfahrungen hinzu. An jedem Tag nutzen wir den uns geschenkten Raum für Diskussionen und Gruppenreflexion und teilen Gedanken, Gefühle, Sorgen, Ängste, Träume, Überzeugungen und Hoffnungen…. und auch darauf, wie sich diese in unserem Leben auswirken. Der Blick wird klarer, es wird das sichtbar was für jeden einzelnen von uns wirklich wichtig ist.

Wir erkunden in diesen Gesprächen und in der Innenschau, was es bedeutet „#Freiheit“ in unserem Leben zu haben, was uns daran hindert, die Veränderungen zu erreichen, nach denen wir uns sehnen. Wir sprechen darüber, wie sich Selbstwert und Selbstvertrauen unterscheiden, warum wir in manchen Lebensbereichen selbstbewusst sind und in anderen nicht. Warum wir gerade die Dinge fürchten, von denen wir annehmen, dass sie uns am glücklichsten machen. Warum Vertrauen und Verletzlichkeit so wichtig sind. Und wie man dies fördert. Wie man Beziehungen aufbaut, die auch bei schwierigen Gesprächen Bestand haben. Wie man die Isolation von anderen verringern kann. Warum es wichtig ist, unsere Gefühle anzuerkennen und gleichzeitig zu akzeptieren, dass nicht alle Gedanken real sind. Was ist Sinn und Zweck? Was sind Ihre Werte? Warum sind sie wichtig? Wie können wir sie finden? Wie wir unsere Werte mit den Anforderungen der Welt in #Einklang bringen. Warum wir mit uns selbst verbunden bleiben müssen und wie wir das tun können. Warum unsere Vergangenheit als auch unsere aktuelle Situation Macht über unsere Zukunft ausüben können und was wir dagegen tun können.

Je offener die Sinne desto mehr ist der Mensch mit der Welt verbunden. Und je tiefer dieses Zusammenspiel geht, desto deutlicher wird aus der Umwelt plötzlich Mitwelt. Dann wird deutlich, dass Wildnis nicht nur da Draußen, sondern auch im eigenen Körper steckt. Die Seele spricht die Sprache der Natur und die zivilisatorische Schicht ist nur eine dünne Hülle, eine Patina. Es ist das Zusammenspiel aus dem Innen und Außen, welches die inneren Weisheiten erweckt. Kein trockenes Wissen, sondern Erfahrung, die so tief wirkt, weil sie mit dem ganzen Körper, dem Geist und der Seele erlebt wird. Lernen ist eine Form von Transformation und sie gelingt besonders gut, wenn sie mit angenehmen Gefühlen verknüpft ist und selbst unangenehme Gefühle wie Angst, zeigen uns an, dass Transformation geschieht, denn wir haben die Komfortzone verlassen.

Die Entfremdung mit uns und unserer eigenen Natur zeigt die Entfernung zur Natürlichkeit auch von Gefühlen, die für uns Wegweiser sein können, doch dafür müssen wir sie wahrnehmen. Unsere komplexe eigene Natur entspricht der Komplexität der Wildnis viel mehr, geht in stärkere Resonanz einer gleichen Schwingungsebene, als dies in den Monokulturen der Falls sein kann.

Hier in der Wildnis spricht jedes tote Stück Holz von Sterben und Entstehen, jedes Gewitter von Kontrollverlust und Vertrauen, jeder Schmetterling von Transformation, jeder Sonnenaufgang von Hoffnung. In dieser Ganzwerdung liegt Weisheit und eine Rückverbindung. Trotzdem gibt es in dieser ursprünglichen heilwirkenden Welt Jäger und Gejagte, Skelette von Zebras, Knochen von Nashörnern, bleiche Schädel erjagter Büffel liegen am Rand des Pfades. Der Tod ist allgegenwärtig. Das Leben aber umso intensiver. Am Ende des Tages rückt die Gemeinschaft zusammen. Wir lauschen in die Nacht, sind verzaubert vom Sternenhimmel und lernen die Gesänge des Landes.


In der dritten Nacht lagern wir am Ufer des Letaba-Rivers. Wir haben unsere Zelte aufgebaut und jegliche Ausrüstung im Zelt untergebracht. Es beginnt leicht zu regnen, doch die Regentropfen machen es schwerer die Geräusche aus der Umgebung wahrzunehmen. Wir erhalten die Ansage, jegliches Licht im Zelt auszulassen und im Zelt zu bleiben. Die atmosphärische Spannung, die vom sich nähernden Gewitter zu kommen scheint, ist wie ein Bitzeln auf der Haut bemerkbar und macht auch die Tiere nervös, da sie durch Wind, Regen und Gewittergeräusche nicht mehr so fein verbunden sind mit dem Informationsnetz der Wildnis. Eine gefährliche Situation, wie ein Blindflug durch eine neblige Nacht.

Dann brüllen rechts von uns 2 oder 3 Löwen, ich versuche anhand der Lautstärke zu bestimmen, wie weit weg die Löwen sind. Ein sinnloses Unterfangen. Ein Versuch meines Verstandes die Situation zu kontrollieren. Die sonoren Stimmen der Löwen tragen weit, doch beim nächsten Mal höre ich sie deutlich lauter, die Löwen sind nähergekommen. Dann höre ich sie zu meiner Linken. Büffel beginnen zu laufen. Jagen die Löwen jetzt hier um unsere Reihe an Zelten? 2 Stunden unter Adrenalin, unsere Begleiter schlafen, neben sich das Gewehr für den Notfall. Dann weicht die Angst einem neuen Gefühl, einem Gefühl, für das ich keine Worte habe, am nächsten kommt das Wort Urvertrauen und tiefe Verbundenheit und das Geschenk der unmittelbaren Gegenwart und ich will nirgendwo sonst sein.

Am nächsten Morgen, beginnen wir nach dem ersten Kaffee mit einer Morgenrunde und tauschen unsere Erfahrungen, Gedanken und Gefühle der letzten Nacht aus. Diese Nacht hat niemanden unberührt gelassen, wir alle sind wieder mit unserem Inneren, unseren Gefühlen in Berührung gekommen. Reconnected.

Die letzte Nacht und die vielen Knochen erinnern uns ständig daran den Tod zu akzeptieren hier können wir ihn vor uns sehen. Das ist so wichtig, weil wir alle aus einer Gesellschaft kommen, die auf die Realität des Todes nicht schauen will wir halten ihn für irgendwas Böses dass unsere Verwandten holt. Hier zu sehen, wie ein junger Löwe einen Büffel schlägt, macht deutlich, dass der Büffel dem Löwen Leben gibt. Auch der Löwe wird eines Tages sterben und Bakterien und Käfern ernähren. Der Tod ist nichts Schlechtes, sondern Teil des Lebensflusses.


Hier draußen magst du dich klein fühlen und tatsächlich kann dich der Tod hier jederzeit holen. Aber dann gibst du dein Leben weiter. Das müssen wir erkennen. Es ist ein #Weg den Kreislauf zu akzeptieren, draußen jenseits der Welt der sozialen Distanziertheit, der WhatsApp Gruppen, der klingenden Handys, der Bahnhöfe und Flughäfen, abseits der sicheren Häuser und Ordner voller Lebensversicherungen wird das innere Geplapper still. Die tägliche Überforderung reduziert sich auf wenige existenzielle Wahrheiten, die Welt wird klarer, der Sinn deutlicher, das Leben unmittelbarer, der Takt des Lebens verlangsamt sich, bis sich irgendwann das Gefühl für lineare Zeit auflöst. Sind wir den dritten Tag hier? Den vierten oder fünften? Die Grenze zwischen innen und außen beginnt zu verschwimmen. Ein sanftes Gefühl der Verschmelzung mit etwas viel Größerem macht sich breit. Die individuelle Isolation, die uns im zivilisierten Alltag so oft vom Zauber des Lebens trennt, weicht dem Gefühl der Verbundenheit mit allem, was ist. Mit einem Geist der Wildnis jenseits der Worte, eine mystische Erfahrung.

Die Angst vor dieser wilden Wahrheit ist die Schwelle. Jenseits der Schwelle ist keine Angst

Auf dem eigenen Lebensweg habe ich bei mir erkannt, dass die eigentliche Angst, die vor der eigenen Transformation ist. Ich habe mich mehr vor dem Unbekannten gefürchtet, vor dem neuen Raum, der dann entsteht. Die Angst vor dem, wer ich sein kann, wenn ich mich entfalte. Diese Angst die Komfortzone zu verlassen, glaube ich bei vielen Menschen die ich als Coach kennengelernt habe wahrzunehmen. So ist dies auch bei der Angst vor der Wildnis. Die Transformation, die hier passiert kommt auch mit unangenehmen Gefühlen daher, doch diese zeigen an, dass sich etwas verändert. Die Angst wird zum Freund und man schaut dankbar auf sie zurück, am Ende der Reise. Denn die Angst zeigt uns wo der Weg für unsere Transformation ist: „Courage is fear walking“ (Susan David).

Neue Räume machen Angst und sobald du die Veränderung zulässt und jenseits der Angst die neuen Räume betritt, öffnest du dich für das wirkliche Leben. Am Ende der Reise in die Wildnis haben die Leute Dankbarkeit in den Augen, und einige weinen, weinen nicht mehr aus Angst sondern weil sie die andere Seite des Lebens erfahren haben, die sie so noch nie berührt haben.

Transformation ist keine einfache Angelegenheit, aber sie hatte am Ende immer die besten Resultate. Wie hat mein Volker gerade letzte Woche, 6 Monate nach Teilnahme an dieser Expedition, noch zu mir gesagt? „.... gerade wenn man wie wir diese "Transformation" bereits erlebt hat! Dieses Gefühl mit der Zeit die Angst zu verlieren und dann die Natur mit anderen Augen zu sehen! Eine der schönsten und aufregendsten Erfahrungen in meinem Leben! Vielen Dank nochmal dafür ..."

Der „Walk Your Why“ im Greater Kruger Nationalpark in Südafrika hat die tiefe Qualität uns an etwas zu erinnern das uns fehlt, aber wenig Resonanz in der zivilisierten Welt hat. Die Schönheit der ungezügelten Natur, die Vielfalt und das Zusammenspiel in einer Harmonie, in der jeder Ton sich dem ganzen zur Verfügung stellt, an eine Hingabe, an eine Schöpfung, die nicht unter unserer Kontrolle ist. Das Abfallen einer Last, die dadurch entsteht, sich dem Lauf des Lebens vertrauensvoll zu überlassen. Die Unmittelbarkeit des eigenen Erlebens, die Erfahrung von Einheit mit etwas viel Größerem und im Moment der größten Verbundenheit, die Begegnung mit dem Tod. Die Trophäen dieser Safari sind lebendig und sie lagern in unserem Inneren – auch als gefunden Antworten auf unsere Fragen, die wir mit hierhergebracht haben.


Schlussbemerkung: Nach meinem Infoabend im September 2022 zu meinen Coaching-Angeboten, habe ich von einem Teil-„geber“ folgendes Geschenk bekommen: „Hallo Bernd, im Nachgang zu deinem spannenden Vortrag gestern hat mir mein Bruder, dem ich davon erzählte, für meine heutige Reise nach Zürich einen Radiobeitrag zur Verfügung gestellt über die Begegnung mit der Wildnis. Gut möglich, dass du das Feature „Mit Gott im Grünen“ schon kennst, denn diese Ubunto-Philosophie könnte ganz deiner vagabonds-Linie entsprechen.“

Wir sehr er Recht hat. Der Radiobeitrag aus der WDR Reihe Lebenszeichen (Sendung vom 25 Mai 2017 „Mit Gott im Grünen“ – Zu Fuß in der der Afrikanische Wildnis – von Gesko von Lüpke) hat mich so berührt und ich habe mich dort so wiederentdeckt, dass ich Passagen daraus in diesen Beitrag übernommen habe, da ich es besser und treffender nicht hätte formulieren können. Ich empfehle jedem sich dieses wunderbare Tondokument anzuhören.

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